23. Oktober 2015

BBW schlägt angesichts des anhaltenden Flüchtlingszustroms Alarm:

Ein Gesamtkonzept zur Bewältigung der anstehenden Aufgaben und schnelles gesetzgeberisches Handeln sind das Gebot der Stunde

Der BBW – Beamtenbund Tarifunion (BBW) fordert die Landesregierung auf, ihren gesetzgeberischen Spielraum zu nutzen, um den Problemen angesichts des anhaltenden Zustroms von Flüchtlingen auf allen Ebenen wirkungsvoll zu begegnen. „Jetzt ist ein Gesamtkonzept und schnelles Handeln gefragt“, erklärte BBW-Chef Volker Stich heute (23.10.2015) in Stuttgart. Der Regierung Kretschmann warf er vor, sie habe im Sommer versäumt, Vorkehrungen zur Aufnahme und späteren Integration der flüchtenden Menschen zu treffen, als die Flüchtlingsbewegung aus den Krisengebieten bereits absehbar war. Jetzt weiterhin an dem vom Ministerpräsidenten propagierten Kurs, „auf Sicht fahren“, festzuhalten, bezeichnete Stich als nicht nachvollziehbar.

Sofortmaßnahmen sind es, die der BBW jetzt von der Landesregierung erwartet. Allem voran fordert er Grün-Rot auf, die Pläne umgehend aufzugeben, eine freiwillige Weiterarbeit über die allgemeine Regelaltersgrenze hinaus nur dann zu genehmigen, wenn ein „dienstliches Interesse“ besteht. „Was wir angesichts des Personalmangels jetzt brauchen, sind Anreize, die Beschäftigten länger im Dienst zu halten, statt Eingriffe in bestehende Regelungen, die sich bewährt haben“, sagte der BBW-Landesvorsitzende. Zudem verlange seine Organisation, im Beamtenversorgungsgesetz des Landes eine temporäre Ausnahmeregelung zu schaffen, damit auch für Pensionäre ein finanzieller Anreiz besteht, freiwillig in den Berufsalltag zurückzukehren. Insbesondere aber müsse die Lan-desregierung spätestens jetzt, in Anbetracht der außergewöhnlichen Herausforderung infolge der Flüchtlingskrise, die Absenkung der Eingangsbesoldung für junge Beamtinnen und Beamte zurücknehmen, um junge Leute überhaupt für einen Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst zu interessieren.

Der Mangel an Bewerbern für ein Berufsleben im öffentlichen Dienst hat inzwischen dazu geführt, dass sich beispielsweise in der Kommunalverwaltung bereits Behörden im Rahmen ihrer gesetzlichen Möglichkeiten mit Lockangeboten untereinander Konkurrenz um Nachwuchskräfte machen. Da die Bewerberlage insbesondere im ländlichen Raum immer enger werde, „fischten" sich die Kommunen gegenseitig die Bewerber ab. Das berichteten Delegierte des BBW-Landesvorstands, der am 21. Oktober in Stuttgart getagt hat.

Aus aktuellem Anlass standen im Mittelpunkt dieser Sitzung die Probleme, die aufgrund der Flüchtlingsproblematik in nahezu allen Bereichen des öffentlichen Dienstes von Tag zu Tag größer werden. Die Beschäftigten arbeiteten inzwischen am Limit, hieß es. Für den eigentlichen Aufgabenbereich bliebe kaum noch Zeit. Der Landesregierung warf man vor, sie habe in den zurückliegenden Monaten versäumt, eine umfassende Konzeption zu erarbeiten, die es möglich mache, den täglichen Ansturm von Flüchtlingen zu bewältigen und die Integration der Menschen auf den Weg zu bringen, die Tag für Tag neu ins Land kommen.


Anhang

Baden-Württemberg in der Krise

Die Ist-Situation im kommunalen Bereich

Besonders kritisch ist die Situation in den Landratsämtern und den Kommunen, berichteten die Delegierten aus diesem Verwaltungsbereich. Dort würden aufgrund des Personalmangels bereits Serviceangebote heruntergefahren oder teils ganz gestrichen, um das Personal im Bereich Asyl einzusetzen. In einigen Kreisverwaltungen würde speziell im Vermessungsbereich in großer Anzahl Personal abgezogen, um dieses dann im Aufgabenbereich „Asyl“ zu verwenden. Inzwischen würden bereits ganze Bereiche „geschlossen". Einzelne Landräte würden schon von einer „Notverwaltung" sprechen.

Arbeitsverdichtung im Bereich der Polizei

Bei der Polizei spricht man bereits von einer dramatischen Situation. Die zunehmende Anzahl von Flüchtlingen bringe ganz besondere Herausforderungen mit sich. Aufgrund der vielen Unterbringungsörtlichkeiten mit oft stark verdichteter Belegung, stiegen die polizeilichen Einsatzanlässe. So sei es in den vergangenen Wochen immer wieder zu körperlichen Auseinandersetzungen mit einer Vielzahl hoch emotionalisierter Beteiligter gekommen. Um die Lage zu bewältigen, habe man immer wieder mit einem starken Polizeiaufgebot anrücken müssen. Dass dies, insbesondere zur Nachtzeit oder an den Wochenenden sowie außerhalb der Regelarbeitszeit anderer Behörden, nicht immer einfach und belastend für die örtlichen Kräfte sei, verstehe sich von selbst, heißt es inzwischen schon ganz offiziell in einem Informationsblatt des Landespolizeipräsidiums. Dort ist auch die Rede von einem erhöhten Kriminalitätsaufkommen und der Zunahme von Ordnungsstörungen in und um Flüchtlingsunterkünfte. Genannt werden Ladendiebstähle, Bedrohungen, Körperverletzungen, Schlägereien, Rauschgifthandel, Raub, Diebstahl und anderes mehr. Dies alles müsse ermittelt und aufgeklärt werden. Hinzu würden viele „Beschwerdeeinsätze“ kommen aufgrund von Ordnungsstörungen und die Unterstützung der Regierungspräsidien und des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) bei der Erfassung und Sachbearbeitung von Anträgen der Asylsuchenden sowie die Einrichtung von eigenen Stabsstellen zur Koordination von Flüchtlingsangelegenheiten. All das und noch viel mehr sei inzwischen polizeilicher Alltag und binde in der Summe eine Menge Personal, das dann für andere polizeiliche Tätigkeiten, insbesondere auch für Sicherheitsarbeit nicht mehr zur Verfügung stehe.

Bildungsbereich

Die BBW-Kommission Bildung und Wissenschaft fordert von der Landesregierung, rasch auch ein Gesamtkonzept im Bildungsbereich zur Lösung der Flüchtlingsproblematik zu entwickeln. Insbesondere müsse eine rasche Beschulung sichergestellt werden. Die Frist bis zum Einsetzen der Schulpflicht, aktuell sechs Monate, sollte nach Möglichkeit nicht erst abgewartet werden. Stattdessen müsse die Schulpflicht ausgelöst werden, sobald die Flüchtlinge einen festen Wohnort haben. Über den Unterricht mit den schulpflichtigen Kindern hinaus sei für die Integration eine „Schule für alle“ erforderlich, also auch für vom Lebensalter her nicht mehr schulpflichtige Flüchtlinge. Für sie seien Integrations- und Deutschkurse anzubieten.

Vor Reaktivierung pensionierter Lehrkräfte Nachwuchskräfte einstellen

Nach Auffassung der Kommission muss verhindert werden, dass im Rahmen des Flüchtlingsnotstands für den Unterricht „Deutsch als Fremdsprache“ viele nicht ausreichend qualifizierte Lehrkräfte dauerhaft eingestellt werden. Zunächst müsse der Bedarf durch Lehrereinstellung gedeckt werden, dann durch Aufstockung und erst nachrangig durch Pensionäre. Nur im Notfall sollte auf Beschäftigte ohne abgeschlossene Lehramtsausbildung zurückgegriffen werden.
Mit Blick auf den Einsatz von Pensionären gelte es zwei Varianten zu unterscheiden: In der ersten Variante kann ein Pensionär eine bestimmte Anzahl von Stunden an der Schule unterrichten. Im Regelfall sind es im höheren Dienst sechs und im gehobenen Dienst acht Stunden, die ein Pensionär arbeiten darf, ohne, dass seine Pension gekürzt wird. Die Kommission empfiehlt deshalb jedem Pensionär, der dies vor hat, sich beim Landesamt für Besoldung und Versorgung über seine individuelle Zuverdienstgrenze rechtssicher zu informieren. Die zweite Variante ist die Reaktivierung des Pensionärs. Das heißt er tritt den Dienst wieder an. Für diesen Fall fordert die Kommission einen Gehaltszuschlag von zehn Prozent sowie eine Anrechnung auf die Höhe der Pension.

Präventionsmaßnahmen im Strafvollzug gefordert

Die Beschäftigten im Bereich Strafvollzug fordern mit dem Hinweis auf Bayern, das derzeit fast 900 Schleuser inhaftiert hat, Präventionsmaßnahmen im Land, um auch dieser neuen „Industrie“ zu begegnen, die mit der Flüchtlingsthematik eng verbunden ist und die die Haftanstalten vor große Probleme stellen wird. Zudem müsse man sich aufgrund der Zuwanderung auf steigende Gefangenenzahlen einrichten. Laut Prognose der Fachwelt gehe mit der Zuwanderung von einer Million Menschen ein Anstieg von 30 000 neuen Strafverfahren einher mit den entsprechenden Folgen für die Staatsanwaltschaften, die Gerichte und die Justizvollzugsanstalten. Mit 2000 neuen Inhaftierten – dies ist laut Bund der Bediensteten im Strafvollzug (BSBD) der allgemeine Schnitt bei einer Million Menschen und stellt keine Kriminalisierung der Flüchtlinge dar – verschlechtere sich insbesondere vor dem Hintergrund laufender Haftplatzreduzierungsprogramme die Unterbringung der Gefangenen in den Haftanstalten und somit die Gesamtsituation in diesen sensiblen Einrichtungen mit einem zum großen Teil gewaltbereiten Klientel dramatisch.

Zusätzliche Stellen für die Steuerverwaltung gefordert

Um die Kosten angesichts des Flüchtlingszustroms zu stemmen, fordern die Beschäftigten in der Steuerverwaltung die Regierung Kretschmann auf, Steuerbetrügern nicht länger das Feld zu überlassen. Zu der dringend erforderlichen Verbesserung der Einnahmen und zur Erhöhung der Steuergerechtigkeit benötige die Einnahmeverwaltung des Landes in den nächsten fünf Jahren mindestens 1.500 zusätzliche Stellen.