28. September 2022

Dem öffentlichen Dienst fehlen die Arbeitskräfte

Dauerbrenner Personalmangel und kein Ende in Sicht

Dauerbrenner Personalmangel und kein Ende in Sicht – Engpässe bei der Polizei, in der Steuerverwaltung, bei der Justiz und inzwischen zunehmend in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes. Es fehlt der Nachwuchs. Der BBW warnt seit langem vor dem sich zuspitzenden Personalmangel. Er fordert Arbeitsplatzangebote, bei denen neben dem Gehalt auch die Arbeitszeit samt Arbeitszeitgestaltung für potenzielle Bewerber attraktiv ist.

„Die Zeit drängt“, sagt BBW-Chef Kai Rosenberger. Der dbb geht von einer eklatanten Personallücke im öffentlichen Dienst aus. Bundesweit fehlen demnach rund 360.000 Beschäftigte. Im Land dürfte die Zahl zwischen 30.000 bis 40.000 Beschäftigten liegen, sagt Rosenberger. Inzwischen warnt auch der Gemeindetag Baden-Württemberg vor den Folgen des sich zuspitzenden Personalmangels in den Kommunen des Landes.

Einen besonders hohen Personalmangel verzeichnen in Baden-Württemberg die Polizei, die Steuerverwaltung und die Justiz. In diesen Bereichen des öffentlichen Dienstes sei das Land, gemessen an der Personalausstattung pro 1.000 Einwohner, bundesweit Schlusslicht, sagt der BBW-Vorsitzende. Deshalb seien die Beschäftigten in diesen Ressorts schon seit Jahren einer ständigen Überbelastung ausgesetzt, die sich zunehmend noch verstärke, weil die wenigen vorhandenen Stellen noch nicht einmal besetzt werden können. Vor diesem Hintergrund verweist er auf die kürzlich von Grün-Schwarz vereinbarten neuen 1.700 Stellen und merkt lapidar an: „Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, aber im Hinblick auf die Gesamtlage ein Tropfen auf den heißen Stein“.

Rosenberger geht davon aus, dass sich die Lage noch verschlimmern werde, wenn in den nächsten 20 Jahren rund die Hälfte der öffentlich Beschäftigten im Land in den Ruhestand gehen. Mit dieser Sorge ist Rosenberger längst nicht mehr allein. Auch der Gemeindetag schlägt Alarm. Personaldezernentin Heidi Schmid sagte am 26. September gegenüber der Presse: „Wir benötigen angesichts des demografischen Wandels und der stetig anwachsenden Zahl an Aufgaben dringend weitere Nachwuchskräfte." Die Verantwortlichen in den Kommunen täten ihr Bestes, um Fachkräfte zu binden und zu gewinnen, etwa mit Angeboten zur Weiterbildung oder Digitalisierung. Das reiche aber nicht.

Um dem Personalmangel im öffentlichen Dienst von Bund, Ländern und Kommunen wirkungsvoll zu begegnen, hält BBW-Chef Rosenberger eine langfristige Personalplanung, die den demografischen Wandel berücksichtigt, und wirkungsvolle Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung des öffentlichen Dienstes für dringend geboten. Er fordert die Landesregierung deshalb eindringlich zum Handeln auf.

Der Arbeitskräftemangel hat sich in den zurückliegenden Jahren kontinuierlich zugespitzt. Wer kein attraktives Beschäftigungsverhältnis anzubieten hat, bleibt beim Werben um die wenigen vorhandenen Arbeitskräfte auf der Strecke. Es sei deshalb höchste Zeit, mahnt der BBW-Vorsitzende, dass die öffentlichen Arbeitgeber und das Land als Dienstherr handelten. Mahnend erinnert Rosenberger auch daran, dass der BBW seit vielen Jahren darauf hingewiesen habe, dass die Besoldung der Beamtenschaft in den unteren Besoldungsgruppen in Baden-Württemberg verfassungswidrig zu niedrig ausfällt. Untermauert wird dies durch das Gutachten der Finanzwissenschaftlerin Prof. Dr. Gisela Färber, das der BBW bei ihr im Jahre 2016 in Auftrag gegeben hatte. Dieses Gutachten stützt sich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom Mai 2015. Die Landesregierung habe seinerzeit weder auf das BVerfG-Urteil 2015 noch auf das Färber-Gutachten reagiert, sagt Rosenberger rückblickend. Erst als am 4. Mai 2020 zwei weitere Urteile des BVerfG zur amtsangemessenen Alimentation ergangen sind, sei es zu einem Umdenken gekommen. In der Folge habe die Landesregierung die Erarbeitung des 4-Säulen-Modells auf den Weg gebracht.

Mit dem 4-Säulen-Modell soll die Besoldung für die Beamtenschaft in A6 bis A10 angepasst und die Kinderzuschläge in allen Besoldungsgruppen erhöht werden. Auf diesem Wege will die Landesregierung den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts für eine verfassungskonforme Besoldung nachkommen.

Wenn zum 1. Dezember 2022 das 4-Säulen-Modell und einen Monat später auch die Beihilfeänderungen in Kraft getreten sind, hat es mehr als sieben Jahre gedauert bis der Gesetzgeber der Forderung des BBW nach einer verfassungskonformen Besoldung entsprochen hat. Besorgt denkt der BBW-Vorsitzende an die Folgen, sollte sich das Land noch einmal genauso lange Zeit lassen, um dem Personalmangel in den Behörden des Landes mit wirkungsvollen Maßnahmen zu begegnen.

„Die Situation duldet keinen Aufschub mehr“, warnt Rosenberger. Das Personal sei am Limit. Jahrelange Überbelastung aufgrund unterbesetzter Dienststellen fordere ihren Tribut. Die Folge seien beispielsweise Verzögerungen bei der Bearbeitung von Genehmigungsverfahren oder Steuerangelegenheiten und lange Wartezeiten für Bürgerinnen und Bürger bei Behördengängen. Das schade nicht nur dem Image des öffentlichen Dienstes, sondern in letzter Konsequenz auch dem Wirtschaftsstandort Deutschland.

„Das 4-Säulen-Modell ist ein erster Schritt in die richtige Richtung“, räumt der BBW-Vorsitzende ein. Um aber im Wettbewerb um künftige Steuer- und Rechtsspezialisten, um Lehrkräfte, Ärzte, Ingenieure, IT-Fachkräfte und um andere technische Fachkräfte mit der Privatwirtschaft erfolgreich bestehen zu können, müsse nachgelegt werden. Solange die Besoldung im gehobenen Dienst ab A11 und im höheren Dienst nicht entsprechend angepasst werde, habe der öffentliche Dienst immer wieder das Nachsehen und viele Stellen blieben unbesetzt.

BBW-Chef Rosenberger macht für den Nachwuchsmangel auch den Ruf des öffentlichen Dienstes verantwortlich. Das meint auch Joachim Beck, der Rektor der Verwaltungshochschule in Kehl. Langweilige Arbeit in verstaubten Amtsstuben, das würden viele junge Leute zu Unrecht mit dem öffentlichen Dienst verbinden, sagt er. Zum Imageproblem gehört nach Meinung des BBW-Vorsitzenden auch das Thema Gewalt und Beleidigungen gegenüber den Beschäftigten. Wegen Personalengpässen in der Justiz verliefen Anzeigen meist im Sande. Rosenberger ist überzeugt: „Wenn wir nicht genug Personal haben, um auch kleine Straftaten zu verfolgen, und deshalb das Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt wird, schreckt das potenzielle Interessenten ab.“

Mit familienfreundlichen Arbeitsbedingungen wirbt der öffentliche Dienst schon seit Jahren für sich als Arbeitgeber und Dienstherr. In der Tat hat sich in dieser Richtung in den vergangenen Jahren auch einiges getan bis hin zum Homeoffice. Doch im Wettbewerb mit der Privatwirtschaft um Nachwuchskräfte habe die nach wie vor in vielen Bereichen bei der Bezahlung die besseren Karten. Das gelte auch für die Arbeitszeit, ist sich Rosenberger sicher. Schließlich gelte hierzulande für Beamtinnen und Beamten die 41-Stunden-Woche. Solange die Landesregierung daran unverrückbar festhalte, werde sie in einer Zeit, wo für potenzielle Bewerber neben dem Gehalt die Work-Life-Balance die entscheidende Rolle spielt, bei der Personalsuche den Kürzeren ziehen.