Anhand eines 4-Säulen-Modells will das Land in diesem Jahr die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) für eine verfassungskonforme Besoldung umsetzen. In Gesprächen mit Spitzenvertretern der Landtagsfraktionen von SPD und FDP erläuterte BBW-Vorsitzender Kai Rosenberger, warum er das 4-Säulen-Modell im Grundsatz für gut und richtig hält.
Thema beider Gespräche waren neben der Umsetzung der beiden BVerfG-Urteile vom 4. Mai. 2020 auch die Pläne zur Einführung von Lebensarbeitszeitkonten, die zunehmende Gewalt gegen öffentlich Beschäftigte und der Tarifabschluss TV-L samt der Besoldungsanpassung mit den negativen Auswirkungen für die Versorgungsempfänger. Mit der FDP-Delegation hatte man sich bereits Mitte Dezember vergangenen Jahres im Königin-Olga-Bau in Stuttgart getroffen, mit den SPD-Vertretern aufgrund der angespannten Corona-Lage am 19. Januar 2022 in einer Video-Konferenz zusammengeschlossen. Fazit beider Unterredungen: In den Sachfragen gab es viel Übereinstimmung.
Umsetzung der beiden BVerfG-Urteile vom 4. Mai 2020
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinen Urteilen vom 4. Mai 2020 zur Richterbesoldung in Berlin und zum kinderbezogenen Familienzuschlag in Nordrhein-Westfalen eindeutige Vorgaben für eine verfassungskonforme Besoldung gemacht. Diese Vorgaben greifen bundesweit und verpflichten Bund und Länder zum Handeln. Im Gespräch mit den Parlamentariern von SPD und FDP erklärte BBW-Chef Rosenberger, dass das 4-Säulen-Modell im Vergleich zu dem, was andere Bundesländer planen, einen positiven Ansatz verfolge, nämlich die Stärkung der unteren Einkommensbereiche und die Schaffung einer zukunftsfähigen Perspektive für die Laufbahn des mittleren Dienstes. Kritisch bewertete er allerdings, dass der höhere Dienst bei dem Vorhaben auf der Strecke bleibe. „Wir haben uns zwar mehr gewünscht, genauer gesagt, eine Neuordnung des gesamten Besoldungsgefüges“, räumte Rosenberger ein. Realistisch betrachtet sei dies jedoch gegenwärtig nicht zu finanzieren.
Auch SPD-Fraktionschef Andreas Stoch bewertet das 4-Säulen-Modell vom Ansatz her positiv. Die Stärkung im unteren Bereich sei richtig. Er könne dem Paket viel abgewinnen. Fraktionsvize Nicolas Fink pflichtete ihm bei. Einig waren sich die SPD-Vertreter, dass es sinnvoll, geradezu notwendig sei, wenn Regierung samt Regierungsfraktionen im Landtag und Opposition bei einer Neuordnung des Besoldungsgefüges Geschlossenheit zeigten. Deshalb sei es wünschenswert, dass die Regierung auf die SPD zukomme.
Die FDP-Vertreter bewerteten positiv, dass sich die Regierung auf den Weg gemacht hat, um die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen. Das Besoldungsrecht sei reformbedürftig, war die einhellige Meinung. Auch das Geld sei da, fraglich hingegen, wofür man es ausgebe. Übereinstimmend mit der Haltung des BBW, äußerten sie sich kritisch darüber, dass im höheren Dienst keine Verbesserungen vorgesehen seien.
Lebensarbeitszeitkonten
Seit Jahren fordert der BBW ein Ende der 41-Stunden-Woche im Beamtenbereich des Landes. Doch mit einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit ist in absehbarer Zeit kaum zu rechnen. Stattdessen soll es Lebensarbeitszeitkonten geben, eine Neuregelung, die der BBW als Einstieg in eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit positiv bewertet. Doch seit Jahren hat man auch um ein solches Modell gerungen. Jetzt ist man diesem Ziel ein Stück weit näher gekommen. Entsprechend positiv äußerte sich BBW-Vorsitzender Rosenberger sowohl gegenüber den Vertretern von SPD wie auch der FDP über den im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Einstieg in eine Regelung für Lebensarbeitszeitkonten, die wohl mit dem Doppelhaushalt 2023/2024 kommen soll. Auch wenn dieser Einstieg laut Regierungsfraktionen eher klein und vorsichtig ausfallen werde, wäre damit immerhin ein Anfang gemacht, sagte Rosenberger. Ungeachtet davon halte der BBW jedoch an seinen Vorstellungen für die Ausgestaltung von Lebensarbeitszeitkonten fest, nicht zuletzt, weil die Arbeitszeit und deren Flexibilisierung ein großer Attraktivitätsfaktor für den öffentlichen Dienst sei.
BBW-Chef Rosenberger unterstrich, dass es seiner Organisation im Wesentlichen um drei Dinge gehe, nämlich um eine flexible Lösung mit Freistellungsmöglichkeit auch vor dem Ruhestand, um die Umwandlung der 41. Wochenstunde als geleistete Stunde auf dem Lebensarbeitszeitkonto, und um Rechtssicherheit für die Beschäftigten. Im Übrigen verstehe der BBW die Lebensarbeitszeitkonten auch als Weg zum Ziel, nämlich zur Reduzierung der Wochenarbeitszeit.
SPD-Fraktionschef Stoch berichtete über seine Erfahrungen als Kultusminister und wies darauf hin, dass die Verbände bei der Ausgestaltung der Lebensarbeitszeitkonten unterschiedlicher Auffassung gewesen seien. Er sieht Bedarf für Steuerungsmöglichkeiten bei der Arbeitszeit in den unterschiedlichen Lebensphasen der Beschäftigten. Fraglich sei allerdings, wie dies bei der Umsetzung ausgestaltet werden kann.
Eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit hält Stoch auf mittlerer Sicht für angesagt. Derzeit stehe die Personalnot einer solchen Maßnahme entgegen. Ziel sei aber nicht 41 Wochenstunden plus x, sondern auf mittlere Sicht von der 41 Stundenwoche runterzukommen und flexible Modelle zu verankern. Fink ergänzet, dass die 41. Stunde auf ein Langzeitkonto gespart werden könnte. Bei akuten Personalmängeln sollte jedoch auch ein temporäres Aufstocken möglich sein.
Der BBW-Vorsitzende reagierte prompt, verwies auf die SPD-Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die auf der gewerkschaftspolitischen Tagung des dbb Anfang des Jahres eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit zum Thema gemacht hatte, und erklärte: „Wir setzen auf die SPD im Land.“
Auch die FDP-Vertreter stehen dem Projekt „Lebensarbeitszeitkonten“ positiv gegenüber. Julia Goll, die stellvertretenden Fraktionsvorsitzende, sprach in diesem Zusammenhang von einem Beitrag zur Attraktivitätssteigerung des öffentlichen Dienstes.
Gewalt gegen Beschäftigte
Die Gewalt gegen öffentlich Beschäftigte nimmt kontinuierlich zu. Auch die „Spaziergänge“ von Gegnern der Corona-Auflagen tragen immer wieder dazu bei. Im Gespräch mit den Politikern von SPD und FDP zeigte BBW-Vize Joachim Lautensack die Probleme auf und wie man ihnen begegnen wolle. Ein aussagekräftiges Lagebild sei beispielsweise eine wichtige Voraussetzung im Kampf gegen die vielfältigen Ausschreitungen. Deshalb habe sich die Gemeinsame Zentralstelle Kommunale Kriminalprävention (GeZ KKP) auch um Mittel für ein Forschungsprojekt zur landesweiten Erfassung und Analyse von Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst beim Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) beworben. Inzwischen sei zwar der Erstantrag genehmigt, doch es seien noch Auflagen zu erfüllen. Falls noch eine Finanzierung von Personalbedarf durch den Landeshaushalt notwendig werde, warb Lautensack um Unterstützung, damit das Projekt auf jeden Fall durchgeführt werden könne.
SPD-Fraktionschef Stoch sieht die zunehmende Gewalt mit Sorge, die sich gegen Vertreter des Staates richtet Er hält eine Debatte über die Rolle und Akzeptanz des Staates, auch auf Bundesebene, für notwendig. Sascha Binder, der innenpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, betonte, dass es inzwischen nicht mehr nur die Polizei, sondern alle Verwaltungsbereiche mit gewaltbereiten Personen zu tun haben. Der BBW-Vorsitzender bestätigte dies und verwies in diesem Zusammenhang auf das geplante Antidiskriminierungsgesetz, das der BBW ebenso wie eine Beweislastumkehr aus gutem Grunde ablehne. Die öffentliche Verwaltung sei schließlich an die verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbote sowie das Rechtsstaatsprinzip gebunden. Ein Antidiskriminierungsgesetz, gar verbunden mit einer Beweislastumkehr, berge hingegen die Gefahr des Missbrauchs und führe unnötig dazu, dass potenzielle Aggressoren von einer solchen gesetzlichen Regelung profitieren können.
Auch die FDP-Abgeordnetenvertraten die Ansicht, dass es im Land keinen Bedarf für eine Implementierung eines Antidiskriminierungsgesetzes gebe. Schließlich sei die öffentliche Verwaltung an Recht und Gesetz und somit auch an das Diskriminierungsverbot des Artikels 3 Grundgesetz gebunden. Dagegen sei der Schaden groß, den ein solches Gesetz mit sich bringe. Denn damit werde Misstrauen gegen die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in allen Bereichen ausgedrückt.
Tarifergebnis (TV-L) und Übertragung auf Beamte und Ruhegehaltsempfänger
Der Ärger und die Enttäuschung über den Tarifabschluss TV-L und die vorgesehene Übertragung auf Beamte und Ruhegehaltsempfänger ist groß. Darüber ließ BBW-Chef Rosenberger keine Zweifel aufkommen. Mit dem Hinweis auf die massiv gestiegene Inflationsrate sprach er von Reallohnverlust, der die Versorgungsempfänger besonders hart treffe. Sie habe man mit diesem Tarifvertrag von der Einkommensentwicklung abgekoppelt. Während Beamtinnen und Beamte wenigsten noch eine Coronaprämie zur Kompensation für 14 Leer-Monate bekämen, gingen die Ruhegehaltsempfänger in Sachen Sonderzahlung leer aus.
Fraktionschef Stoch zeigte zwar Verständnis für den Ärger in den Reihen des BBW, erklärte aber zugleich, seine Fraktion stehe für die Attraktivität des öffentlichen Dienstes, die auch eine ordentliche Bezahlung umfasse. Allerdings müsse auch die Belastung der öffentlichen Kassen in den Blick genommen werden. Um einen Mehrbetrag für die Funktionsfähigkeit des Staates zu generieren, schlage die SPD vor, sehr große Vermögen heranzuziehen.
Auch die FDP-Abgeordneten hatten Verständnis für den Verdruss bei Beamtinnen, Beamten und Versorgungsempfängern. Die Alimentationsverpflichtung des Staates dürfe bei der Anpassung von Besoldung und Versorgung nicht außer Acht gelassen werden. Dabei handle es sich schließlich um ein Gesamtpaket, das nicht infolge schleichender Verschlechterungen, insbesondere auch bei Versorgungsempfängerinnen und -empfängern in Schieflage geraten sollte.
An den Unterredungen haben teilgenommen:
Für die SPD: Fraktionsvorsitzender Andreas Stoch; Sascha Binder, Parlamentarischer Geschäftsführer und innenpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion; Nicolas Fink, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion sowie stellvertretender Fraktionsvorsitzender; Malin Melbeck, parlamentarische Beraterin für Innenpolitik der SPD-Landtagsfraktion.
Für die FDP: Fraktionsvorsitzender Dr. Hans-Ulrich Rülke; Julia Goll, stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Sprecherin für Innenpolitik, Strafvollzug und Internationale Politik; Dr. Timm Kern, stellvertretender Fraktionsvorsitzender, Sprecher für Bildung, Hochschulen, Kirchen und Religionsgemeinschaften; Stephen Brauer, Sprecher für Finanzen und Kultur; Rudi Fischer, Sprecher für Haushalt, Ländlichen Raum und Senioren; Dr. Christian Jung, Sprecher für Verkehr und Petitionen; Prof. Dr. Erik Schweickert, Sprecher für Landesentwicklung, Tourismus, Handwerk und Mittelstand; Sebastian Haag, parlamentarischer Berater für Haushalt und Finanzen, Glücksspiel, Kommunales, Beamte und Medien der FDP/DVP Fraktion.
Für den BBW nahmen an den Gesprächen neben Vorsitzendem Kai Rosenberger, sein Stellvertreter Joachim Lautensack sowie BBW-Justiziarin und Geschäftsführerin Susanne Hauth teil.