07. Februar 2023
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Nach den jüngsten Gewaltausschreitungen: Blaulicht-Austausch im Innenministerium

Die entscheidende Frage: Wie schützen wir die, die uns schützen?

Gewalt gegen Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste im Einsatz ist inzwischen schmerzliche Realität. Beim „Blaulicht-Austausch“, zu dem Innenminister Thomas Strobl am 24. Januar 2023 eingeladen hatte, ging es um die Frage: Wie schützen wir die, die uns schützen? „Wehret den Anfängen“, darum gehe es hierzulande, sagte der Innenminister und verwies darauf, dass die Lage in Baden-Württemberg nicht vergleichbar sei mit der Situation in Berlin. BBW-Vize Joachim Lautensack schätzt die Lage bei weitem kritischer ein und kritisiert, dass alles, was zur Verbesserung der Situation auf den Weg gebracht werde viel zu lange dauere.

Lautensack war einer der mehr als 40 Vertreterinnen und Vertreter aus dem Kreis der Polizei, der Feuerwehr, des technischen Hilfswerks, der Rettungsdienste, der Gewerkschaften sowie der kommunalen Spitzenverbände, die gemeinsam mit Innenminister Strobl, Justizministerin Marion Gentges, Staatssekretär Wilfried Klenk (Innenministerium) und der Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung Barbara Bosch die Lage analysierten und nach Wegen aus der Misere suchten.

Aktueller Anlass für den Erfahrungsaustausch im Innenministerium waren die Gewaltausschreitungen in der Silvesternacht 2022/2023 in Berlin. So dramatisch wie in der Silvesternacht in Berlin schätzt Innenminister Strobl die Lage im Land allerdings nicht ein. „Baden-Württemberg ist nicht Berlin. Und insbesondere schon mal nicht an Silvester“, betonte er. Das sei die klare Lageeinschätzung der Polizei. Fakt sei aber leider auch „eine zunehmende Verrohung, die in Worten, Anfeindungen aber auch in Gewalt umschlägt und sich gegen Vertreter des Staates richtet, kurz gegen Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst, aber auch gegen andere Amts- und Mandatsträger“. Dieser besorgniserregenden Entwicklung gelte es Einhalt zu gebieten, sagte Strobl und erklärte: „Was wir brauchen, ist eine gesellschaftliche Kraftanstrengung und eine gesamtgesellschaftliche Kurskorrektur.“

Handeln statt blindem Aktivismus wünschte sich BBW-Vize Lautensack. Anders als der Innenminister schätzt er die Lage im Land erheblich bedrohlicher ein: Was in Berlin geschah, passiere in Stuttgart, in anderen Städten, an jedem Ort, zu jeder Zeit im Kleinen, oftmals ohne viel mediales Interesse, ohne große Öffentlichkeit, im Einsatz von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten, aber auch in den Amtsstuben, immer häufiger und immer heftiger. Zugleich kritisierte er, dass sich politisch Verantwortliche nach Gewaltausschreitungen zwar immer wieder entsetzt zeigten, ihre Abscheu teilweise mit rhetorischer Brillanz zum Ausdruck brächten, Gipfeltreffen ausrichteten, Projektgruppen einsetzten, Gutachten in Auftrag geben würden, dann aber alsbald wieder zum Alltag zurückzukehrten.

Lautensack räumte zwar ein, dass man hie und da etwas gegen die zunehmende Gewalt gegenüber öffentlich Beschäftigten getan habe. Allerdings habe alles, was bislang getan wurde, in der Summe seine Wirkung verfehlt und alles, was gefordert und vorgeschlagen werde, daure bei der Umsetzung unendlich lange.

Die Position des BBW fasste Lautensack in wenigen Sätzen zusammen: „Was wir erwarten, ist, dass denjenigen, die sich für Recht und Gesetz, für das Gemeinwesen, für unseren Sozialstaat, für unseren Rechtsstaat einsetzen, entschlossen, wirksam und spürbar der Rücken gestärkt wird. Nicht Frustration – etwa durch die Einführung einer Kennzeichnungspflicht oder eines Diskriminierungsgesetzes – ist angesagt, sondern vielmehr Motivation in jeglicher Hinsicht.“

Diskutiert wurde bei der rund dreistündigen Veranstaltung auch über weitere Schulungsmaßnahmen, über eine schnellere Ermittlung und Bestrafung der Täter, über die Notwendigkeit des Umdenkens im Alltag, über die Aufhellung des Dunkelfeldes von Gewalttaten oder beispielsweise über eine Ausweitung der Schmerzensgeldregelung bei delikts- und schuldunfähigen Tätern, und nicht zuletzt über das Thema Umgang mit sozialen Medien, das bei Gewaltausschreitungen eine immer größere Rolle spiele.

Justizministerin Marion Gentges bezeichnete den Austausch in der Runde der Blaulichtorganisationen als gewinnbringenden Teil einer wichtigen Debatte, die wir weitergeführt werden müsse. Bereits jetzt seien die Staatsanwaltschaften in hohem Maße sensibilisiert und verfolgten Straftaten gegen Polizisten, Feuerwehrleute oder Sanitäter mit großer Konsequenz. Ob hier dennoch weiterer Handlungsbedarf bestehe, werde ihr Haus auf Grundlage einer statistischen Sondererhebung erneut überprüfen und zusammen mit den Staatsanwaltschaften erörtern.

Innenminister Strobl nannte den Blaulicht-Austausch „in höchstem Maße konstruktiv, geprägt von einer großen Sachlichkeit und Lösungsorientierung“. Man habe gespürt: Allen liegt das Thema am Herzen, alle wollen hier etwas bewegen, sagte Strobl und mahnte zugleich: „Wenn Einsatz- und Rettungskräfte, insbesondere auch aus dem ehrenamtlichen Bereich, das Gefühl haben, selbst zur Zielscheibe zu werden, dann sinkt die Bereitschaft, diesen wichtigen Job zu machen.“ Diese Meinung vertritt auch der BBW.