21. September 2017

Veranstaltungsreihe „Begegnungen“ beim BBW – Im Fokus diesmal:

Die Bürgerversicherung für Beamte und was gegen solcherlei Pläne spricht

Im Vorfeld der Bundestagswahl ist die Bürgerversicherung wieder einmal ein viel diskutiertes Thema. Anlass für den BBW, zehn Tage vor dem Wahltermin die gegenwärtige Diskussion im Rahmen seiner Veranstaltungsreihe „Begegnungen“ aufzugreifen. Fazit des Abends: Selbst wenn die Befürworter einer paritätischen Bürgerversicherung in den kommenden Jahren Boden gut machen sollten, ist der Weg für eine Überführung der Beamtenschaft in die GKV noch sehr weit und zudem mit einer Vielzahl rechtlicher Probleme gepflastert.

Dennoch bleibt die Frage: Kommt es zu einem Totalumbau des Krankenversicherungssystems und im Geleit zum Umbau unseres Gesundheitssystems oder wird das bisherige System mit all seinen Schwächen und Stärken weiterentwickelt? Antworten darauf hatten weder Dr. Martin Albrecht vom IGES-Institut noch PKV-Verbandsdirektor Dr. Volker Leienbach für die Gäste des BBW parat.  In einem waren sich die beiden Referenten des Abends jedoch einig: Die rechtlichen Hürden, die vor der Einführung einer Bürgerversicherung genommen werden müssten, sind sehr hoch.

Es war die Bertelsmann Stiftung, die zu Jahresbeginn Ärzte und Beamte mit der Behauptung aufschreckte, durch die Überführung der Beamten und Versorgungsempfänger in die GKV könnten die öffentlichen Haushalte um Milliarden entlastet werden. Grundlage für diese medienwirksame Äußerung war eine Studie des IGES-Instituts, die die Bertelmann Stiftung bei dem unabhängigen Berliner Forschungs- und Beratungsinstitut in Auftrag gegeben hatte. Dr. Martin Albrecht, der Leiter dieser Studie, hat am 14.09.2017  in Stuttgart vor den Gästen des BBW klargestellt, was es mit dieser Untersuchung auf sich hat und damit die von der Bertelsmann Stiftung initiierten Erwartungen wieder relativiert.

Gegenübergestellt werden in dieser Untersuchung die finanziellen Auswirkungen einer Ausweitung der Versicherungspflicht auf Beamte und die geschätzten fiskalischen Effekte des heutigen Beihilfesystems zur Absicherung von Beamten und ihren Angehörigen gegen Krankheitsrisiken.  Die rechtlichen Voraussetzungen und die Umsetzbarkeit des Szenarios bleiben in dieser Studie allerdings unberücksichtigt.

Sachlich, unterstützt durch Schaubilder, erläuterte Albrecht Ziel und Fragestellung der Untersuchung samt der Szenarien, die beleuchtet wurden. Ausdrücklich wies er aber auch darauf hin, dass das Ergebnis dieser Studie lediglich eine Segmentbetrachtung widerspiegle, eine rein theoretische Arbeit obendrein, die weder als Grundlage für die Einführung einer Bürgerversicherung angelegt worden sei noch als solche dienen könne.

Zu den Ergebnissen der Untersuchung führte Albrecht aus: Wenn mindestens 80 Prozent der Beamten durch Ausweitung der Krankenversicherungspflicht in die GKV wechselten und Beitragszuschüsse als Ersatz für die Beihilfe erhielten, wären GKV, die öffentlichen Haushalte und die Beamtenhaushalte die Gewinner einer solchen Umstellung. Allerdings resultierten die Nettoentlastungen aus Umverteilung. Denn die Leistungserbringer, allen voran die Ärzte und die PKV-Unternehmen, hätten bei diesem Szenario massive Umsatzverluste. In dem Szenario, in dem beihilfefähige Tarife zugrunde gelegt wurden, sieht die Sache anders aus. In diesem Szenario würden die Entlastungen und auch die Belastungen größtenteils entfallen. Für die Bundesländer wären im Basis-Szenario die fiskalischen Effekte unterschiedlich. Kurzfristig würden zehn von sechzehn von einer solchen Umstellung profitieren, längerfristig wäre der Systemwechsel noch für drei Bundesländer nachteilig.

Der IGES-Studie selbst zollte PKV-Verbandspräsident Dr. Leienbach durchaus Hochachtung. Kritik übte er hingegen an der Bertelsmann Stiftung, die diese „rein theoretische Arbeit umgetextet“ habe. Die von der Stiftung unter Berufung auf die IGES-Studie propagierte Prämisse habe mit der Realität nichts zu tun, sagte Leienbach.

Es liegt nahe, dass ein Spitzenvertreter des PKV-Verbands für die Beibehaltung des dualen Krankenversicherungssystems eintritt. Leienbach nannte dafür eine Reihe guter Gründe, allen voran das hohe Niveau der medizinischen Versorgung. Dank des Zusammenspiels von GKV und PKV nehme Deutschland im internationalen Vergleich einen Spitzenplatz ein, sagte Leienbach und fragte auf die IGES-Studie eingehend provokativ: „Warum sollte man ein gut funktionierendes System kippen, das sich höchster Zufriedenheitswerte erfreut?“ Schließlich gehe es um eine gute medizinische Versorgung, um die medizinische Infrastruktur, die ins Wanken gerate, wenn dem Gesundheitssystem die höheren Umsätze dank der Privatpatienten entzogen würden. Im Übrigen werde die Bürgerversicherung auch dem Anspruch auf mehr Gerechtigkeit nicht gerecht. Bei genauerem Hinsehen zahlten in einem solchen Krankenversicherungssystem nämlich die Geringverdiener den Profit der Besserverdienenden.

Die Behauptung der Bertelsmann Stiftung, durch Überführung der Beamten und Versorgungsempfänger in die GKV könnten Bund und Länder bis 2030 bis zu 60 Milliarden Euro einsparen, bezeichnete der PKV-Verbandsdirektor als Legende und kreidete zum Beleg die Schwachstellen an. Er sprach vom Wünsch-Dir-was-Szenario was die „Abschaffung der Beihilfe über Nacht“ betreffe und verwies auf den Bestandsschutz für Beamte und Versorgungsempfänger. Bezüglich des für 2030 prognostizierten GKV-Beitragssatzes prangerte Leienbach mangelnde Berücksichtigung der Demografie an.

Auch die Pläne des Hamburger Senats, der es künftigen Beamtinnen und Beamten vom August 2018 an überlassen will, ob sie eine private Krankenversicherung als Ergänzung zur Beihilfe abschließen oder sich gesetzlich versichern und dafür statt Beihilfe einen „Arbeitgeberzuschuss“ beziehen, hält Leienbach für höchst bedenklich. Abgesehen davon, dass eine Öffnung der GKV für Beamte mit finanzieller Unterstützung durch den Dienstherrn in den kommenden Jahren für Hamburg mit Mehrkosten in Höhe von mindestens 5,8 Millionen Euro verbunden wäre, birgt eine solche Regelung nach Auffassung des PKV-Verbandsdirektors erhebliche verfassungsrechtliche Risiken.

Bei einem Großteil des Publikums konnte Leienbach mit seinen Ausführungen punkten. Doch es gab auch Kritik an der PKV, insbesondere in Bezug auf Chefarztrechnungen, die gestellt würden, obwohl der Patient den Chefarzt, wenn überhaupt, nur kurz zu sehen bekommen habe und in der Regel vorwiegend vom Stationsarzt behandelt wurde. Leienbach zeigte Verständnis für diese Kritik und versicherte, dass der PKV-Verband an einer Lösung dieses Problems bei den Verhandlungen um die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) dran sei.

BBW-Chef Volker Stich hatte in seiner Begrüßungsansprache daran erinnert, dass die Bürgerversicherung in den Wahlprogrammen von SPD, den Grünen und der Linken thematisiert sei. CDU und FDP wollten hingegen auch weiterhin am dualen Krankenversicherungssystem festhalten. Damit würden die Christdemokraten und Liberalen ganz auf Linie von dbb und BBW liegen, sagte Stich und betonte: „Wir sind überzeugt, dass das Beihilfesystem, ergänzt durch eine private Krankenversicherung, die einzig richtige Antwort auf die Anforderungen im Beamtenverhältnis ist.“ Beihilfe gehöre neben Besoldung und Versorgung zum Gesamtpaket der Alimentation von Beamtinnen und Beamten durch ihren Dienstherren.